Mit Erasmus+ im Ausland lernen
Seit den späten 1980er Jahren ermöglicht das europäische Förderprogramm Erasmus+ den Auslandsaufenthalt Millionen europäischer Studierender in Universitäten auf der ganzen Welt. Mittlerweile steckt hinter dem Programm allerdings noch viel mehr. Mit Erasmus+ fördert die EU-Kommission auch die grenzüberschreitende berufliche Bildung und bietet dabei zahlreichen Auszubildenden im Handwerk spannende Auslandserfahrungen. Davon profitieren auch die Lehrlinge der Schreinerei Hierbeck in Schöllnach im Landkreis Deggendorf. Seit drei Jahren nimmt der Betrieb an dem Projekt der Handwerkerschule Martinsdorf teil, wo junge Auszubildende in die Restauration von Kirchenburgen im rumänischen Siebenbürgen eingebunden werden. Angesprochen sind Lehrlinge aller Gewerke im Bau- und Ausbaugewerbe: vom Maurer zum Maler, vom Elektriker zum Landschaftsbauer, vom Schreiner und Zimmerer bis hin zum Dachdecker. Zwei Wochen lang leben und arbeiten sie gemeinsam und lernen dabei fremde Kulturen und traditionelle Handwerkstechniken kennen.
Lernen steht im Vordergrund
Die Handwerkerschule Martinsdorf/Siebenbürgen wurde vor zwölf Jahren von Michael Doll gegründet. Damals ist er auf der Suche nach einem Ort an dem Auszubildende fernab betrieblicher Strukturen Neues lernen und den europäischen Gedanken erfahren können. In Siebenbürgen wird er fündig. Die Region im Zentrum Rumäniens ist reich an Geschichte und ebenso an historischer Baukultur. Hunderte Kirchenburgen erstrecken sich über das weitläufige Siedlungsgebiet. Eine davon - vielmehr der angeschlossene historische Pfarrhof - wird Ausgangsbasis von Michael Dolls Projekt. In den folgenden zwölf Jahren wird dieser von den Auszubildenden der Handwerkerschule umfassend saniert. Drei- bis viermal im Jahr kommen je etwa 20 Lehrlinge für zwei Wochen zusammen. Doll schätzt, dass in den letzten zwölf Jahren zusammengerechnet etwa 800 junge Menschen am Projekt beteiligt waren. Mittlerweile steht der Pfarrhof kurz vor der Fertigstellung, zu tun gibt es in der Handwerkerschule aber noch jede Menge. "Wir sind immer auf der Suche nach neuen Projekten, damit unsere Lehrlinge spannende Aufgaben haben und damit die Kirchenburgen erhalten bleiben und vielleicht auch einer neuen Nutzung zugeführt werden können", berichtet Doll.
"Eine begleitete Walz"
Spannend ist der Aufenthalt gerade deswegen, weil die Lehrlinge die Möglichkeit haben im Denkmalschutz zu arbeiten. "Das erfordert andere Werkzeuge, teilweise historische Techniken, das ist eine ganz andere Vorgehensweise", erzählt Doll. Ohne Produktionsdruck steht hier das Lernen im Vordergrund. "Das ist eine Chance, die viele junge Menschen in ihrer Ausbildung nicht bekommen." Denn in Deutschland dürfen Auszubildende nicht in denkmalgeschützten Gebäuden arbeiten. Auch der soziale Kontext sei in der Handwerkschule ein ganz anderer. "Man muss in der kurzen Zeit wirklich zusammenwachsen und das funktioniert erstaunlich gut", berichtet Doll. Trotzdem ist es nach wie vor schwer Jugendliche für das Projekt zu rekrutieren und dafür zu sorgen, dass sie vom Betrieb in dieser Zeit freigestellt werden. Für viele Betriebe sei es nicht leicht einfach zwei Wochen auf ihre Auszubildenden zu verzichten, dafür hat Doll Verständnis. Gleichzeitig gäbe es viele Gründe dafür das trotzdem zu tun. Dass Handwerker die Chancen, die Europa bietet auch zu nutzen wissen, sei kein neuer Gedanke. "Das liegt vielmehr in der klassischen Tradition des Handwerks," so Doll. Losziehen, das Wissen anderer kennenzulernen, sich neue Techniken anzueignen und in fremde Kulturen einzutauchen sei der Grundgedanke der Walz. "Eine begleitete Walz", so beschreibt Michael Doll auch sein Projekt. "Und wer einmal auf der Walz war, "der ist in der Regel sehr selbstständig und mit viel zusätzlichem Wissen zurückgekehrt." Davon profitieren nicht nur die Auszubildenden, sondern auch Betriebe.
Erfindergeist gefordert
In der Schreinerei Hierbeck nehmen jährlich ein bis zwei Azubis aus dem zweiten Lehrjahr teil. So ging es auch für Benedikt Sibler aus Plattling und Paul Schleich aus Straubing in diesem Frühjahr in die Handwerkerschule. Kost und Logis sind frei, der Lohn wird vom Arbeitgeber weiterbezahlt. Für Thomas Hierbeck ist die Unterstützung des Projekts eine Herzensangelegenheit. "Unsere Auszubildenden können sich in Rumänien nicht nur fachlich weiterentwickeln, sondern lernen auch etwas fürs Leben," meint Hierbeck. Die Auseinandersetzung mit einem fremden Land, mit fremden Leuten und einer technischen Ausstattung, die oft nicht dem entspricht, was die jungen Handwerker aus heimischen Betrieben kennen: das alles bringt die Teilnehmer persönlich aber auch fachlich weiter. "Da ist Erfindergeist und Pragmatismus gefordert. Und das sind Eigenschaften, die auch auf deutschen Baustellen gebraucht werden." An seine Zeit in Rumänien denkt der 19-jährige Benedikt gerne zurück. "Es war sehr lehrreich und interessant und wir hatten großen Spaß auf der Baustelle." Anderen Auszubildenden würde er den Aufenthalt definitiv weiterempfehlen.