Im Gespräch mit Reine ImanishimweBotschafterin fürs Schreinerhandwerk in Ruanda
In der Schreinerei Hierbeck in Schöllnach im Landkreis Deggendorf herrscht geschäftiges Treiben. Aktuell ist die 30-köpfige Belegschaft mit der Anfertigung neuer Fensterelemente für ein Rathausgebäude beschäftigt. Teil des Teams ist auch Reine Imanishimwe, eine Schreinerin aus Ruanda. Vor einem Jahr ist die 28-Jährige aus dem kleinen zentralafrikanischen Staat in den Familienbetrieb nach Schöllnach gekommen – damals noch für eine dreimonatige Hospitanz. Heute ist sie eine fest angestellte und voll sozialversicherungspflichtige Fachkraft in der Schreinerei. Von Beginn an habe sie dabei eine außergewöhnlich hohe Lern- und Leistungsbereitschaft an den Tag gelegt, erzählt Betriebsinhaber Thomas Hierbeck. "Reine will alles lernen und wissen. Ihr persönlicher Antrieb ist es, die Beste in ihrem Job zu sein." Schon als Reine in Deutschland ankommt, hat sie eine abgeschlossene Schreinerausbildung und mehrere Jahre als Unternehmerin in der Hauptstadt Ruandas Kigali gearbeitet. Um die Beste zu sein, braucht sie aber noch eines: einen deutschen Meisterbrief.
Junges Land mit Ambitionen
Reines Heimatland Ruanda blickt auf eine wechselhafte Geschichte zurück. Mitte der 1990er-Jahre erschüttert ein beispielloser Völkermord das kleine Land. Seither hat die Nation sich in vielen Bereichen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens weiterentwickelt und Innovationen vorangetrieben. Kennzeichnend ist die hohe Teilhabe von Frauen im politischen und wirtschaftlichen Kontext – aber auch die Demografie. Denn rund 40 Prozent der Bevölkerung sind unter 14 Jahre alt. "Es ist ein sehr junges Land", erzählt Reine, "und dieser Nachwuchs hat Ambitionen. Die Menschen wollen arbeiten, etwas schaffen und weiterkommen." Auch Reine fehlt es nicht an Ambition. Nach der Schulzeit beginnt sie ihre Schreinerausbildung an der renommierten Rubengera Schule in Kigali, eine der besten Schulen Ruandas im Bereich der Holzverarbeitung. Reine findet großen Spaß am Schreinerhandwerk, strengt sich an und arbeitet auch am Wochenende mit. Nach ihrem Abschluss tritt sie als erste Schreinerin in ein Kompetenzzentrum ein, das FabLab, wo sie den Umgang mit größeren Maschinen im Bereich der CNC-Verarbeitung erlernt. Gleichzeitig macht sie sich selbstständig. "Ich wollte meine eigene Firma eröffnen, weil ich mir dachte, dass ich so am schnellsten weiterkommen kann." Sieben Jahre arbeitet Reine als Unternehmerin, wickelt große Aufträge ab, stattet Hotels und Universitäten aus – und sie knüpft Kontakte. So erfährt sie über die Stiftung SES "Senior Experten Service" über das hohe Ansehen des deutschen Meisterbriefs – ihr ist klar: das ist ihr nächster Schritt.
Im Ort und am Arbeitsplatz gut integriert
Um ihr Deutsch zu verbessern und um den deutschen Standard im Schreinerhandwerk kennenzulernen, startet sie über ein Austauschprogramm die dreimonatige Hospitanz in der Schreinerei Hierbeck. Von der Millionenstadt Kigali geht es in den Bayerischen Wald. Am Anfang hat Reine noch Sorge, wie sie mit den Menschen zurechtkommen wird, aber auch durch die Unterstützung der Familie Hierbeck und ihr eigenes aufgeschlossenes Wesen, findet sie schnell Anschluss in Schöllnach. "Ich fühle mich hier wie Zuhause", erzählt Reine stolz. Ein Grundgefühl, dass die Augenblicke überlagert, in denen die junge Frau Anfeindungen ausgesetzt ist, denn auch die hat es gegeben. In dem Ort selbst ist sie aber bestens integriert, "alle Nachbarn sind meine Freunde", so Reine. In der Schreinerei kommt sie mit den Kollegen und auch den Aufgaben gut zurecht. Und das obwohl sie vieles neu lernen muss. "Auch wenn sich viel getan hat ist der Standard in Ruanda nicht so hoch wie in Deutschland", erzählt sie. "Es braucht dort mehr High-Tech Maschinen und mehr gut ausgebildete Lehrkräfte." Ein weiterer Unterschied ist, dass es in Ruanda keine Bauschreinereien gibt und grundsätzlich weniger mit Holz gebaut und gearbeitet wird, berichtet Reine. Doch die junge Frau lernt schnell und viel.
Durch Qualifikationsanalyse zur Teilanerkennung
Nach ihrer Hospitanz kehrt sie nach Ruanda zurück. Um den Meisterbrief machen zu können, braucht sie einen deutschen Gesellenbrief und dafür eine Teilanerkennung ihres Abschlusses in Ruanda. Auf dem klassischen Wege habe das nicht funktioniert, berichtet Thomas Hierbeck, der sie bei dem Prozess tatkräftig unterstützt hat. "Es gab Probleme mit den Dokumenten, die teilweise nicht beglaubigt waren und dementsprechend nicht anerkannt worden sind." Gemeinsam mit der Handwerkskammer versuchen sie es auf einem anderen Weg. Reine unterzieht sich im Bildungszentrum Passau-Auerbach einer Qualifikationsanalyse, bei der ihr Wissen und Können theoretisch und praktisch geprüft wird. "Unsere Kammer hat sich hier wirklich sehr gut vorbereitet", berichtet Hierbeck, "da wurde Pionierarbeit geleistet." Ganz grundsätzlich sei es wichtig an einem transparenten und fairen Verfahren festzuhalten, so der Unternehmer, der als Obermeister der Schreinerinnung Deggendorf auch im Gesellenprüfungsausschuss involviert ist. "Wir möchten unsere Abschlüsse nicht herschenken. Durch das Anerkennungsverfahren können wir aber Menschen in unseren Arbeitsmarkt integrieren, die etwas draufhaben und wirklich wollen." Ohne die würde es in Zukunft auch nicht gehen. "Integration funktioniert aus meiner Sicht am besten durch Arbeit und Leistung. Und da sind wir als Unternehmer im Handwerk sehr gut mit dabei."
Aushängeschild für eine neue Generation
Die Qualifikationsanalyse liegt hinter Reine, die Teilanerkennung hat sie in der Tasche. Ein Jahr lang dauert die Nachqualifizierung zur vollen Gleichwertigkeit ihres Abschlusses. Im nächsten Jahr startet sie mit der Meisterschule in Garmisch-Patenkirchen – ein Platz wurde ihr schon im letzten Jahr fest zugesichert. Etwas Sorge macht ihr noch die Sprache, gerade die unterschiedlichen Dialekte in Bayern, aber sie lernt jeden Tag dazu. Nach Abschluss der Meisterschule möchte Reine einige Jahre arbeiten und irgendwann wieder nach Ruanda zurückkehren und ihre Firma weiterführen. Die 28-Jährige ist nämlich nicht nur Schreinerin, sondern auch Unternehmerin aus Leidenschaft. Schon jetzt hat sie viele Ideen, wie sie ihr in Deutschland gewonnenes Wissen und Können in Ruanda einbringen kann. Dort ist sie mittlerweile so etwas wie eine Botschafterin fürs Schreinerhandwerk geworden, aber auch das Aushängeschild für eine junge leistungsorientierte Generation, die anpackt und weiterkommen will.
Deutsche Handwerks Zeitung
Ein Artikel aus der Deutschen Handwerks Zeitung vom 11. Oktober 2024.