Revolution im Internet: Neue Chancen und Risiken für den MittelstandJahrestagung 2010
Web 2.0 als Chance für den Mittelstand
Zu ihrer dreitägigen Jahrestagung mit dem Arbeitstitel „Revolution im Internet“ traf sich die Studiengesellschaft für Mittelstandsfragen e.V. im Bildungszentrum der Handwerkskammer in Schwandorf, Charlottenhof. Namhafte Gäste aus Forschung und Wirtschaft referierten über Chancen und Risiken des Web 2.0 für den Mittelstand. Die Studiengesellschaft, unter dem Vorsitz des Landtagsabgeordneten Alexander Radwan aus Rottach-Egern, lud zur Herbsttagung mit vier Hauptthemen: „Zahlen und Fakten“, „Neue Geschäftsmodelle im Netz“, „Bildung und Rechtsrahmen“ sowie „Probleme und Chancen für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft“, wurden von rund 40 Teilnehmern aus Deutschland und Österreich bearbeitet.
Wikis, Blogs, Facebook oder YouTube – das Web 2.0 bietet scheinbar unendliche Kommunikationsmöglichkeiten. Während über 14 Millionen Nutzer in Deutschland bereits ihre Urlaubsbilder und Lieblingslieder auf Facebook posten und ihr Leben oft Hunderten von Internetfreunden präsentieren, scheint der Mittelstand den Möglichkeiten des Web 2.0. noch skeptisch gegenüber zu stehen. Muss aber ein Mittelstandsunternehmen twittern und sein eigenes Facebook- oder XING-Profil einrichten, um am Puls der Zeit zu sein?
Gäste und Referenten waren sich einig: Bei der Nutzung des „Mitmach-Webs“ sind vor allem kleine und mittelständische Betriebe zögerlich, da sie den konkreten Nutzen und die entstehenden Kosten nur schwer einschätzen können. Außerdem ist es für viele Unternehmen schwierig, die erforderlichen organisatorischen Ressourcen für Web 2.0-Anwendungen aufzubringen. „Das Problem ist, dass Mittelständler die neuen Trends meistens zu wenig kennen“, betont Professor Dr. Ulrich Blum, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung aus Halle. „Unsere Väter dachten mechanisch, wir denken analog. Unsere Söhne denken digital.“ Die Schwelle zu den neuen Möglichkeiten im Netz müsse überschritten werden, denn die Technik wäre ja vorhanden, nur die Nutzung mache Probleme. „Zudem hinken die rechtlichen Regelungen den wirtschaftlichen hinterher. Gewinner ist aber der Schnellere“, erklärte Blum.
Nicht nur Prominente platzieren ihre Tweets in Sachen Eigen-PR, sondern neben privaten Nutzern sind auch immer mehr Unternehmen beziehungsweise ihre Kommunikationsabteilungen auf Twitter oder in anderen Netzwerken aktiv. Aber in Bezug auf den Mittelstand ergibt sich hier schon das erste Problem. Für die Nutzung solcher Plattformen benötigt man Mitarbeiter, die sich der Sache annehmen. Schließlich empfehlen Experten Unternehmen, mindestens eine Nachricht pro Tag zu senden. Ist die Nachricht erst einmal verschickt, muss der Unternehmer sich vom Gedanken der Informationskontrolle verabschieden. Was sich im Netz bewegt, geht seinen eigenen Weg – im Zweifelsfall auch einen kommunikationsstrategisch falschen. Das setzt nicht nur ein großes Vertrauen des Chefs in die ausführenden Kollegen voraus, sondern lässt unter Umständen auch Herausforderungen an die Rechtsordnung entstehen. Stefan C. Schicker, Rechtsanwalt aus München, zeigte die rechtlichen Wirkungen des Rechtsgebarens im Netz auf. „Nicht selten kommt es durch schlechtes Schreiben über Unternehmen oder Produkte zu Wettbewerbsverstößen, die in Blogs entstehen“. Eine Möglichkeit solche Schäden zu begrenzen wäre, klare Richtlinien aufzustellen, worüber ein Mitarbeiter im Netz schreiben darf. „Ein großes und noch wenig beachtetes Problem sind außerdem die allgemeinen Geschäftsbedingungen, die es nicht nur bei Onlinebestellungen gibt, sondern die auch für die Nutzung von sozialen Netzwerken gelten. In den AGBs finden sich für die User oftmals weitreichende Verpflichtungen.“ Es wäre demnach empfehlenswert, solche Geschäftsbedingungen in jedem Falle zu dokumentieren.
Nicht nur rechtliche Probleme im Web stellen die Politik vor neue Herausforderungen. Dr. Reinhard Brandl, Mitglied des Deutschen Bundestages und Internetexperte, sprach die Trägheit der politischen Entscheidung und Gesetzgebung im Gegensatz zur Schnelllebigkeit des Internets an. „Die Politik muss schneller Gesetze auf den Weg bringen, um Internetseiten auch sperren zu können. Die Politik hat das Thema Internet lange nicht verstanden.“ Doch selbst die großen Parteien würden die Veränderungen nun spüren. Denn während in den etablierten Parteien hierarchische Strukturen herrschen würden, wäre beispielsweise die Piratenpartie als „basisdynamisch“ zu bezeichnen. „Ihre Themen werden von einer breiten Schicht gefunden und transportiert. Letzten Endes auch wegen der direkten Mitbestimmung, die bei den Leuten gut ankommt, sind die Piraten populär genug, um in das Europäische Parlament einzuziehen“, so Brandl. „Das Internet ist ein Werkzeug, das der Staat nur für sich nutzen muss – und zwar mit absoluter Transparenz.“ Das führe auch zu hohem Vertrauen und Akzeptanz in der Bevölkerung.
Ein positives Beispiel für das Geschäft im Internet präsentierte Jürgen Kupka, Karosserie- und Fahrzeugbauer und Techniker aus Regensburg. „Unser Geschäftssystem funktioniert allein auf Basis des Internets. Wir verkaufen mittlerweile in ganz Deutschland und ins Ausland, beispielsweise in die USA oder Russland.“ Spezialisiert auf hochwertiges Tuning und Unfallinstandsetzung im Kfz-Bereich laufen seine Geschäfte ausschließlich über den Marktführer Ebay, die Kommunikation mit dem Kunden per Mail. Einen eigenen Internetauftritt benötigt er dazu nicht. „Das Geschäft im Netz ist sehr zeitaufwendig, das darf man nicht unterschätzen“, so Kupka. Fragen der Kunden müssten schnellstmöglich beantwortet werden. „Negative Kommentare wollen wir unbedingt verhindern.“ Damit sprach Kupka die schwierige Kontrolle von Informationen im Netz an. Jeder Ebay-Kunde kann nach seinem Onlinekauf den Verkäufer für Jeden ersichtlich bewerten, ob im positiven oder negativen Sinne. „Die alten Kaufmanngesetzte gelten weiter. Man muss die Kundschaft pflegen. Wichtig ist nach wie vor ein guter Leumund.“
Die Tragweite des Internets wird deutlich, wenn man die Zahl der Facebook-Nutzer sieht. Im Januar 2011 hat die Plattform die 600-Millionen-Nutzer-Grenze überschritten. Ob man als Mittelständler Teil des Web 2.0 werden will, muss das Unternehmen für sich abwägen. Die Beteiligung verlangt einen großen Zeitaufwand und organisatorische Voraussetzungen. „Das Potential liegt in der kreativen Nutzung“, sagte Professor Dr. Gustaf Neumann von der Wirtschaftsuniversität in Wien. Klare Regeln für die ideale Handhabung gebe es nicht. „Zuhören, was der Kunde sagt, daraus lernen und reagieren“, so Dr. Georg Wittmann vom E-Commerce-Kompetenzzentrum Ostbayern. Doch in Zukunft auf das Internet zu verzichten, sei keine Alternative. „Die junge Generation macht mit“, betonte Tatjana Helm vom Referat Recht der Verbraucherzentrale Bayern. Und das seien schließlich die Kunden von morgen.